Kunst­präsentation als politische Arena. Die Werkstatt der Kulturen in Berlin, ein Fallbeispiel für Deutschlands Umgang mit der post­migrantischen Nation (Arbeitstitel)

Dieses Forschungsprojekt rekonstruiert die Geschichte der kürzlich geschlossenen „Werkstatt der Kulturen“ in Berlin, Veranstalter von Kunst und Kultur von migrantischen und postmigrantischen Communities, und analysiert die Bedingungen für ihre Entstehung und Entwicklung im Lichte der Kolonialität der Kunstlandschaft in Deutschland.

Von 1993 bis 2020 war die „Werkstatt der Kulturen“ (WdK)1  die einzige staatlich finanzierte Einrichtung in Berlin mit dem ausdrücklichen Auftrag, die Präsentation von Kunst und Kultur von migrantischen Communities zu fördern. Während ihres Bestehens schien die Arbeit der Einrichtung jedoch für das etablierte Kunstmilieu der Stadt kaum von Bedeutung zu sein – unabhängig von der künstlerischen Qualität ihrer Präsentationen oder dem Grad an Expertise und internationaler Anerkennung, den die von der Einrichtung präsentierten Künstlerinnen und Künstler hatten. Diese Vernachlässigung kann nicht in erster Linie auf eine generelle Unsichtbarkeit von migrantischen und postmigrantischen Künstler:innen in der nationalen Kulturlandschaft zurückzuführen sein. Vermutlich berührt sie auf einer anhaltenden Tendenz, dass Kunstproduktionen und Präsentationspraktiken von (Post)Migrant:innen eher dem Bereich der Sozialpädagogik oder der Soziokultur, als der ästhetischen Praxis zugeordnet werden. Die Differenzierung erfolgt vielmehr über die Positionen der Akteur:innen und ihrer Kontexte als über die künstlerischen Arbeiten oder die Präsentationsformate selbst. Spätestens seit den frühen neunziger Jahren wird in Deutschland unter dem Begriff der Interkulturalität die Präsentation von „Kultur“ zu einem Medium der „internationalen“ Verständigung, die dem Streben nach Integration folgt.2  So müssen sich ästhetische Praktiken von Minderheiten und Diasporas nicht nur mit einem vermeintlichen Mangel an „Zeitgemäßheit“ (contemporaneity)3  auseinandersetzen, sondern erhalten eine neue Funktion, die mit einem westlichen Kunstbegriff, der seit der europäischen Moderne mit Autonomie verbunden ist, nicht mehr zu vereinbaren ist. „Kunst“ scheint innerhalb der Mauern der weißen Nation zu verbleiben, und „Kultur“ der Ort für den Rest. In diesem Kontext ergeben sich einige Fragen. Erstens: Wann werden künstlerische Präsentationen von Minderheiten als Kunst qualifiziert und wann als soziokulturelle Praxis im spezifischen deutschen Kontext? Wo liegen die Unterschiede? Zweitens: Wie normieren westliche ästhetische Kategorien diese Unterscheidungen? Und drittens: Welche Rolle spielen die veranstaltenden und fördernden Institutionen bei dieser Normierung? Diese Fragen lassen sich erforschen, wenn der Blick auf die WdK gerichtet wird: ihre Akteure, institutionelle Strukturierung, kuratorische Schwerpunkte und Rezeption, in Zusammenspiel mit deutschlandspezifischen Diskursen über Migration und Integration von sogenannten „Menschen mit Migrationshintergrund“ und der Berliner Kunstinstitutionen-Landschaft.

Im Rahmen dekolonialer Theorie werden somit die Entstehungsbedingungen und die spezifische Entwicklung dieser Institution analysiert und die Kolonialität der deutschen Kunst- und Kulturlandschaft hinterfragt. Die Biographie der WdK, im Kontext, ist eine Fallstudie für ein breiteres Phänomen: die Verhandlung der Kategorien „Wissen“ und „Kunst“ in der Realisierung der postmigrantischen Gesellschaft.

Das Projekt ist im Bereich des Kuratorischen angesiedelt. Methodisch umfasst es Expert:innen-Interviews, Rekonstruktionen von Archiven und theoretische Analysen. Die Art und Weise, wie der Prozess und die Ergebnisse erfahren und festgehalten werden, wird sowohl textuell als auch performativ sein. Die Konstellationen der verschiedenen Komponenten wird nicht nur mit Text auf dem Papier stattfinden, sondern auch im Raum, durch Ton-, Video- und Bildmaterial. Somit werden mögliche Beziehungsgeflechte aufgedeckt, die eine Audiogeschichte der künstlerischen Diaspora-Bewegungen kartieren können. An der Schnittstelle von qualitativer, ästhetischer und performativer Forschung befasst sich diese Untersuchung mit drängenden Fragen zur kritischen Diversität, einem der Forschungsschwerpunkte von +dimensions, und rückt ästhetische und praxisbasierte Forschungsmethoden in den Vordergrund.

  1. 1

    Die Werkstatt der Kulturen wurde 1993 gegründet und von der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales operativ finanziert. Im Jahr 2018 wurde die Haushaltszuweisung an die Senatsverwaltung für Kultur und Europa gewechselt. Diese Abteilung schloss und ersetzte die Organisation im Jahr 2020.
  2. 2

    Siehe Görres, Christiane; Groß, Tortsten Groß; Oertel, Martina; Röbke, Thomas. „Interkulturelle Kulturarbeit” Bundeszentrale für Politische Bildung, 28.6.2002, http://www.bpb.de/shop/lernen/weitere/37340/interkulturelle-kulturarbeit, (abgerufen am 20.02.2021).
  3. 3

    Siehe Palermo, Zulma. Arte y estética en la encrucijada descolonial, Buenos Aires: Ediciones del Signo, 2009.

Fachgebiet

Theorie und Geschichte

Zeitraum

2022–2024

Format

Forschung

Leitung

Juana Awad

Text

Juana Awad